Financial Times Deutschland

Agenda: Aceh und die Zeit der Langsamkeit

Sonntag 20. Februar 2005, 22:00 Uhr

Der Brennofen der Ziegelei am Ortsrand von Neheun ist kalt. Im Lagerschuppen stapeln sich Backsteine. Ruhig ist s. Nur die 32-jährige Abidah Nazar hockt im Schatten einer Akazie und rubbelt Kleider auf einem Waschstein. Jeden Tag trägt sie die Wäsche der Familie vom Zelt im Obdachlosenlager zum Brunnen. Zehn Minuten Weg. Nach dem Waschen wuchtet sie die nassen Kleider in einem Plastikkübel auf den Kopf und kehrt zurück. Es geht bergauf, der Marsch dauert fünf Minuten länger. "Wir haben im Lager zuerst weiter oben auf dem Hügel gewohnt", erzählt sie, "wir sind umgezogen, weil es bis zur Wasserstelle zu weit war."

Der beschwerliche Weg wird für sie Alltag bleiben. Neben dem Zeltlager in Neheun, 20 Kilometer nordöstlich von Banda Aceh, lässt die deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) Holzbaracken bauen. Sie sollen in den nächsten Monaten die Obdachlosen aufnehmen. "Aber auch dort gibt es kein sauberes Wasser", sagt Nazar.

400.000 Acehnesen haben ihr Heim verloren, als die Flut am zweiten Weihnachtstag alles niederwalzte. 130.000 Menschen sind hier gestorben, weitere 120.000 Bewohner werden vermisst. Immer noch sammeln Freiwillige jeden Tag 450 Tote ein, die sie im Gebüsch zwischen Schutt und Schlamm finden.

Nazar muss keine Familienmitglieder beweinen: der Mann, die drei Kinder - alle gesund. Die Frau versucht nun, das Geschehene zu verdrängen, blickt in die Zukunft. Sie würde gern in eine der Holzbaracken für 100 Personen ziehen, in denen dünne Sperrholzwände die Räume trennen. "Es ist besser als in unserer Straße. Da wohnt niemand mehr. In den Baracken haben wir Nachbarn zum Reden." Nazar lächelt und zuckt mit den Schultern. "Ich weiß aber nicht, ob wir in eine Baracke dürfen. Die Informationen sind alle so unklar."

Indonesiens Regierung hat verfügt, dass nur Überlebende, deren Häuser zerstört wurden, in die Baracken dürfen. Aber das Haus der Nazars fiel den Wellen nicht völlig zum Opfer. Die Wände stehen noch. Doch die Existenzgrundlage ist weg. Dort, wo früher die Ziegelei der Familie stand, suchen jetzt Kühe zwischen schwarzem Schlamm und Trümmern nach den wenigen Grashalmen. "Wir haben kein Geld, um die Ziegelei wieder aufzubauen", sagt Nazar, "aber ich habe gehört, dass irgendjemand uns helfen will."

Dazulernen im Kleinkrieg gegen zahllose Probleme

Dieser Irgendjemand ist der Deutsche Kurt Beringer, ein 51-jähriger Mann mit langen, blonden Haaren, die er zu einem Zopf zusammengebunden hat. Er vertritt die kleine private Hilfsorganisation Amurt, die auch in Berlin ein Büro unterhält. "Wir wollen die Ziegeleien wieder aufbauen", sagt Beringer, "und die Häuser instand setzen." Jede Ziegelei könnte innerhalb eines Monats 50.000 Backsteine produzieren - ein wichtiger Grundstock für den Wiederaufbau.

In der Umgebung hat die Flut rund 100 Ziegeleien beschädigt, im Dorf selbst sechs. Die Brennkammern müssen neu errichtet werden. Das ist einfacher gesagt als getan. "Wir lernen jeden Tag dazu", berichtet Beringer vom Kleinkrieg gegen zahllose Probleme.

Die Landfrage muss geklärt werden. Die neuen Ziegeleien sollen wegen der Umweltbelastung nicht zu nahe an Wohnsiedlungen stehen und dürfen auch nicht zu weit von der schmalen Asphaltstraße entfernt sein, die sich von Banda Aceh bis Neheun durch eine Wüste der Zerstörung schlängelt.

Basteln am "Masterplan"

"Wir hoffen, in einer Woche beginnen zu können", sagt Beringer. Gewissheit gibt es nicht. Eine Voraussetzung ist, dass das Dorf wie bisher an einem Strang zieht. Eine weitere Bedingung: Die Behörden müssen mitspielen. Aber die Regierung in Jakarta bastelt immer noch an einem "Masterplan" für den Wiederaufbau. Solange der nicht steht, wissen weder staatliche noch private Hilfsorganisationen, wie sie weitermachen sollen. Noch steht nicht einmal fest, ob Jakarta am Plan festhält, einen Grüngürtel aus Mangrovenwäldern um Aceh zu ziehen, der die Region vor künftigen Flutwellen schützen soll.

Dabei wird ein Rahmen für die Wiederaufbauarbeit mit dem langsamen Auslaufen der Katastrophenhilfe dringend benötigt. In Aceh konzentrieren sich die meisten Hilfsorganisationen auf die Westküste der Region. Dort zerschmetterte die Flutwelle nahezu die gesamte Infrastruktur. Nur ein Drittel der Bevölkerung hat überlebt.

Acehs Ostküste, an der zehn bis 20 Prozent der Bewohner ums Leben kamen, wurde dagegen vernachlässigt. Zwar wird die Bevölkerung mit Nahrungsmitteln versorgt. Aber viele Dörfer sind wegen der eingestürzten Brücken nicht erreichbar. Unmöglich auch der Besuch über See. Bis März wühlen Wind und Strömung das Meer so auf, dass kein Fischer sich mit dem Boot in die Gegend wagt.

Bundeswehr inmitten von entwicklungspolitischen Problemen

Der Sache schadet es auch, dass sich Hilfsorganisationen in die Haare bekommen. World Vision zahlt für den Bau einer Baracke 45.000 Euro - dreimal so viel, wie die Unterkünfte nach den Berechnungen der GTZ kosten sollten. World Vision sagt, die Summe enthalte auch die Entschädigung für die Grundbesitzer, auf deren Boden die Baracken entstehen. "Selbst wenn World Vision die Ausgaben gegenüber seinen Spendern rechtfertigen kann", kritisiert ein ausländischer Experte, "zwingt es andere Organisationen zur Verschwendung von Spenden, weil so die Preise verdorben werden."

Auch die Bundeswehr hat erkannt, dass sie mit ihrem Einsatz in der Stadt Banda Aceh mitten in einem entwicklungspolitischen Problem gelandet ist. Als die 370 Soldaten ankamen, waren die meisten Schwerverletzten schon gestorben. Helfen konnten die Bundeswehr-Ärzte vor allem Patienten, die mit einer "Schlamm-Lungenentzündung" zum Feldhospital kamen. Die Opfer sind zwar der Flutwelle entkommen, haben aber so viel Schmutzwasser geschluckt, dass sie auch zwei Monate nach der Katastrophe noch an schwerer Lungenentzündung erkranken.

Inzwischen haben die Ärzte so wenig zu tun, dass sie lieber heute als morgen heimreisen würden. Vorher wollen sie noch Einheimische an den Maschinen ausbilden, die als Geschenk hier bleiben. Doch nötiges Personal fehlt. Die Hälfte der Ärzte und Krankenschwestern ist ums Leben gekommen. Und Fachleute aus anderen Teilen Indonesiens wollen nicht nach Aceh. Sie fürchten Anschläge der Rebellengruppe "Bewegung Freies Aceh". Nun wird der Malteser Hilfsdienst, der die Bundeswehr im März ablöst, das Problem erben.

Zum Pfusch gezwungen

"Es kann nicht darum gehen, hier schnell Geld auszuschütten und wieder die Sachen zu packen", beschreibt Hanns Polak von der GTZ die Anforderungen, "wir müssen nachhaltig arbeiten." In der Provinz soll künftig so gebaut werden, dass die Bewohner in "flut- und erdbebensicheren" Häusern leben.

Doch dazu muss seine Organisation eine Landessitte eindämmen. Firmen mit der für Großprojekte nötigen Liquidität schlagen eine Profitmarge von 40 Prozent auf ihre Kosten. Sie bezahlen ihre Subunternehmer aber so schlecht, dass diese förmlich zum Pfusch gezwungen werden. "Statt drei Einheiten Zement auf zehn Einheiten Kies haben sie deshalb nur eine Einheit Zement verbraucht", sagt Polak, "deshalb ist hier alles zusammengefallen wie Papierhäuser."

Eine der Ausnahmen: die Moscheen. Auf der "Terrasse Mekkas", von der einst die Islamisierung Indonesiens ausging, wollte beim Bau der Gotteshäuser niemand pfuschen.

 

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